
Ist die Schweiz hier Vorreiter unseres nächsten Entwicklungsschrittes?
QuoteDisplay MoreBisher wurde Stefan Vögtli, Gemeindepräsident von Lupsingen im oberen Baselbiet, noch nicht um seine verdiente Nachtruhe gebracht. Doch das könnte sich ändern: Seit Anfang Januar schreibt das kantonale Polizeigesetz ausdrücklich fest, dass die Gemeinden für die Ruhe und Ordnung auf ihrem Gebiet zuständig sind. Zwar können sie gewisse Leistungen weiterhin bei der Polizei Basel-Landschaft einkaufen, doch viele schrecken davor zurück, auch Lupsingen: Tagsüber sorgt hier die Gemeindeverwaltung für Ruhe und Ordnung – in der Nach klingelt das Handy beim Gemeindepräsidenten.
Private deutlich günstiger
Doch nicht überall sind die Nächte so ruhig wie im 1400-Seelen-Dorf, wo sich Fuchs und Hase «Gute Nacht» sagen. Zwölf vor allem grössere Gemeinden im Umkreis der Stadt Basel haben die Wahrung von Ruhe und Ordnung deshalb teilweise an private Sicherheitsdienste ausgelagert. Externe Anbieter können die geforderten Pikett-Leistungen günstiger anbieten als die kantonale Polizei, die dafür je nach Leistungsumfang zwischen rund zwei und vier Franken pro Jahr und Einwohner verlangt. Auch die Anstellung weiterer Gemeindepolizisten lohnt sich in den meisten Fällen nicht. Die Gemeinden haben gerechnet: In Birsfelden beispielsweise unterbot der externe Dienstleister die Kantonspolizei beispielsweise um 35 Prozent – trotz grösserem Leistungsumfang.
Für die Bürgerinnen und Bürger ändere sich durch den Einsatz privater Sicherheitsdienste nichts, betonen die Gemeinden. Für die Sicherheit ist gemäss Gesetz weiterhin in jedem Fall die Polizei zuständig. Auch bei einer blossen Ruhestörung gilt die Telefonnummer der Kantonspolizei. Diese entscheidet, ob es sich um einen Fall handelt, den sie an den von der betreffenden Gemeinde engagierten Sicherheitsdienst weiterleiten kann. Bei Hinweis auf eine sicherheitsrelevante Angelegenheit rückt in jedem Fall die Kantonspolizei aus. Das Polizeigesetz sieht nur die Übertragung nicht hoheitlicher Aufgaben an Private vor. Grundrechtseingriffe wie Inhaftierungen oder Durchsuchungen sind der Polizei vorbehalten. «Diesbezüglich hat sich an der Rechtslage nichts geändert», betont Meinrad Stöckli Polizei Basel-Landschaft.
Sicherheitsdienste boomen
Die Baselbieter Gemeinden waren zwar grundsätzlich schon bisher für die Wahrung von Ruhe und Ordnung auf ihrem Gebiet zuständig. Vor allem einen nächtlichen Pikettdienst konnten die Gemeinden mit ihren beschränkten Mitteln aber nicht anbieten. In der Praxis ist deshalb dennoch meistens die Kantonspolizei ausgerückt – allerdings ohne ihre Leistungen systematisch zu verrechnen. Dies ändert sich mit dem neuen Polizeigesetz. Schon in der Vergangenheit hatten die Gemeinden in bestimmten Fällen aber auf private Sicherheitsdienste zurückgegriffen: So arbeitet Birsfelden bei der Sicherung der Nachtruhe am Basler Badestrand «Birsköpfli» schon seit Jahren mit der Firma Bewa GmbH zusammen.
Dieser wachsende Einfluss privater Sicherheitsdienste entspricht einer Entwicklung, die schweizweit seit längerer Zeit zu beobachten ist. Aufgaben, die ursprünglich nur von Polizisten wahrgenommen wurden, werden mehr und mehr ausgelagert. Es fing vor rund zwanzig Jahren damit an, dass die Gemeinden die Verteilung von Bussenzetteln in blauen Zonen an private Anbieter zu vergeben begannen. Auch Transporte von Gefangenen werden häufig von Privaten übernommen. Der Bund hat ebenfalls polizeiliche Aufgaben ausgelagert, beispielsweise im Bereich der Bewachung von Asylunterkünften.
In den vergangenen Jahren haben Gemeinden in vielen Kantonen damit begonnen, im Bereich des Ordnungsdienstes Unterstützung durch private Sicherheitsdienste anzufordern. «Die Kantonspolizei ist weniger präsent als früher und von den Bürgern erwartet», beobachtet Wolfram Manner vom Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU). Das zeigt sich auch beim Personalzuwachs: Jedes Jahr nehme die Zahl der Angestellten in dieser Branche um rund fünf Prozent zu, schätzt Manner.
Sicherheit vorgetäuscht
Diese Entwicklung stösst auf Kritik. Juristen sehen das Gewaltmonopol des Staates in Gefahr. Denn obwohl hoheitliche und nicht hoheitliche Aufgaben juristisch trennscharf zu unterscheiden sind, lässt sich diese Abgrenzung nicht so einfach auf den Polizeialltag übertragen: Ein privater Sicherheitsmann kann zwar mehr Ruhe verlangen, durchsetzen kann er seine Forderung aber nicht. Weil das Gewaltmonopol beim Staat ist, dürfte er auch keinen Einbrecher festhalten, sofern er ihn nicht auf frischer Tat ertappt. Aus rechtlicher Sicht haben private Sicherheitsdienste kaum andere Möglichkeiten als jeder andere Bürger: Solange es sich nicht um Notwehr oder Nothilfe geht, dürfen sie Recht nicht mit Zwang durchsetzen.
Der Bevölkerung werde deshalb durch den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten eine Sicherheit vorgegaukelt, die in Wirklichkeit gar nicht gegeben sei, konstatiert der frühere Basler Polizeikommandant und Lehrbeauftragte an der Universität Basel, Markus Mohler. Konflikte beim Einsatz von privatem Security-Personal seien ausserdem absehbar, zumal für die Bürgerinnen und Bürger immer schwerer erkennbar werde, wer wirklich für die Sicherheit zuständig sei. Mohler warnt davor, das Prinzip des staatlichen Gewaltmonopols schleichend ausfransen zu lassen, «denn sonst entsteht an dessen Stelle ein Gewalt-Markt.»
Schaf auf der Kantonsstrasse
Bisher ist es im Baselbiet diesbezüglich allerdings ruhig geblieben. Vier Gemeinden beauftragen die Bewa GmbH mit dem nächtlichen Pikettdienst, wie Geschäftsführer Hanspeter Isenschmid auf Anfrage erklärt. Zusätzliches Personal musste er deswegen nicht einstellen, die Anrufe aus der Einsatzzentrale der Polizei Basel-Landschaft halten sich in Grenzen. Zu Einsätzen ist es nicht gekommen – mit einer Ausnahme: Unlängst musste Isenschmid spätnachts im Auftrag einer Baselbieter Gemeinde zwei Mitarbeiter auf die Piste schicken – um ein ausgerissenes Schaf einzufangen, das beim nächtlichen Spaziergang auf die Kantonsstrasse geraten war.
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